Verstummt by Güler Salim

Verstummt by Güler Salim

Autor:Güler, Salim [Güler, Salim]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-05-25T22:00:00+00:00


Kapitel 18

Es tut so weh. Mir ist kalt und gleichzeitig schwitze ich. Ich kann mich nicht bewegen und ich weiß nicht, wie lange ich noch die Kraft habe, um nicht ohnmächtig zu werden und im Tod die Freiheit zu finden. Aber solange ich die Kraft habe, den Stift zu halten und meine Gedanken in Worte zu fassen, so lange will ich es tun.

Vielleicht ist es auch die naive Hoffnung, daß die Welt irgendwann der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft, oder sind wir Juden auf ewig verdammt, das Volk der Unterdrückten zu sein? Das Volk ohne Stimme?

Ich hoffe nicht. Mir wird wieder schwarz vor Augen und ein Schmerz durchfährt meinen Körper, daß meine Hände verkrampfen. Der Schmerz möchte, daß ich schreie, aber ich schreie nicht, diesen Gefallen werde ich dem Schmerz nicht tun.

Ein Blick genügt, daß ich weiß, daß auch ich sterben werde. Wann weiß ich nicht, aber ich hoffe, es wird nicht allzu weh tun.

Ich habe schon viel Blut verloren, nach der roten Pfütze zu urteilen, die neben mir auf dem Boden ist. Sie macht mir unbarmherzig klar, welches Ende für mich vorgesehen ist.

Noch immer kann ich nicht begreifen, wie das geschehen konnte. Erst gestern haben wir uns noch überglücklich in den Armen gelegen, da der Krieg vorbei und Hitler-Deutschland besiegt ist.

Wir waren so glücklich, weil wir hofften, daß die Angst, die uns jahrelang von Versteck zu Versteck trieb, endlich ein Ende haben würde.

Wir waren so glücklich, weil wir hofften, daß wir endlich wieder Menschen sein dürften.

Ich habe nie wirklich verstanden, warum uns die Deutschen so gehaßt haben. Menschen, die wir Freunde nannten. Was hatten wir getan, daß sie bereit waren, uns zu töten wie Vieh? Selbst mein Vater fand darauf keine Antwort.

Er war immer stark und vorbildlich. Er verzweifelte niemals, damit wir nicht verzweifelten. Aber ab und an sah ich an seinen roten Augen, daß auch er geweint hatte. Ich fragte ihn nicht warum, da ich mir denken konnte, was der Grund für seine wenigen Tränen war.

Und gestern hatten diese Tränen endlich ein Ende und wurden durch Tränen der Freude abgelöst.

Noah und ich spielten und alberten herum und konnten es gar nicht abwarten, endlich unser Versteck zu verlassen. Noahs Gedanken waren schon längst beim Eis, das er endlich wieder schmecken wollte, und ich freute mich über seinen Wunsch, da er doch einfach aber ehrlich war.

Meine Gedanken waren andere. Was erwartete uns draußen und jetzt, wo der Krieg vorbei war? Würden die Deutschen uns dann wirklich mit offenen Armen empfangen oder wären sie noch immer unsere Feinde?

Ich begreife den Krieg nicht. Was hat all das Morden am Ende gebracht, außer Haß? Wie kann dann dieser Haß jemals verschwinden?

Ich muß gestehen, ich hatte große Angst vor dieser neuen Freiheit. Was, wenn die Deutschen uns noch immer wie Menschen zweiter Klasse behandeln würden? Was, wenn wir noch immer mit einem Judenstern herumlaufen müßten? Auf diese Fragen hatte der BBC-Moderator keine Antwort.

Als dann heute morgen die Tür geöffnet wurde, waren wir alle voller Vorfreude, denn wir wußten, daß diese Tür geöffnet wurde, weil wir endlich frei waren und unser Versteck verlassen konnten.



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